Einsame Schwünge
in den Stubaier Alpen
Von der
Franz-Senn-Hütte zur Ruderhofspitze
Fchh – ein kratzendes Schaben ist zu hören, als auf dem
eisigen Untergrund die Ski-Kanten nachgeben und einer der Skibergsteiger die
Rinne hinunterrutscht. Weiter unten fängt er sich wieder und darf den Hang
nun nochmals mit den angeschnallten Skiern hochsteigen. Oh - wie mühsam.
Es ist Spätnachmittag und wir sind auf dem Weg zur Franz-Senn-Hütte,
die auf 2147 Meter Höhe in den Stubaier Alpen steht. Alles ist weiß
verschneit. Bei einer Skitour hat man im Aufstieg Klebefelle an der Unterseite
der Ski befestigt, um ähnlich wie mit Langlaufskiern vorwärts und aufwärts
gehen zu können.
Wie
so oft bei derartigen Skihochtouren im Spät-Winter, hat uns die
ungewöhnlich warme Mittagstemperatur im Talort
die Planung umgeschmissen. Der Aufstieg geht durch ein steiles Hochgebirgstal
und es lösen sich große Nassschneelawinen, wenn es so warm ist.
Insofern haben wir den Aufstieg nicht, wie geplant, mittags begonnen, sondern
sind erst am Spätnachmittag gestartet, wo es wegen der fehlenden
Sonneneinstrahlung schon wieder richtig kalt ist. Neue Lawinen sind daher keine
zu sehen, aber natürlich die Lawinenkegel alter Nassschneelawinen.
Dafür gibt es aber ein anderes Problem. Der Schnee in den Steilstufen im
Hüttenzustieg ist nun hart gefroren und wir gehen mit sogenannten
Harscheisen, die in den eisigen Schnee eingreifen sollen. Dies gelingt auch
meistens.
Nach
einem dreistündigen Hüttenzustieg müssen wir kurz vor der
Hütte wegen eines großen Lawinenhanges den leichteren Normalanstieg
meiden und - wie auch schon andere Skibergsteiger vor uns - den Bergbach
über ein schmales Brückchen überqueren, auf dem hoch
aufgetürmt vereister Schnee liegt. Mit den Skiern und Rucksäcken ist
dies ein großes Abenteuer, das mit einiger Umsicht auch gelingt. So
kommen wir etwas erschöpft von den Strapazen, wie mit dem Hüttenwirt
besprochen, abends auf der Franz-Senn-Hütte an. Die Organisation und auch
die Qualität des Essens auf diesen abgelegenen Hütten sind immer
wieder beeindruckend, da dort alles mit einer Materialseilbahn angeliefert
werden muss.
Normalerweise
würden wir in dieser viertägigen Skitour, erst einmal einen
Trainings- und Akklimatisationstag einlegen und erst am dritten Tag zur
Ruderhofspitze aufsteigen, die mit 3474 Meter Höhe der vierthöchste
Berg der Stubaier Alpen ist. Aber das Wetter: Am dritten Tag ist morgens gleich
eine Wetterfront angekündigt. Es wird also unweigerlich morgens wenig
Sicht haben und es ist mit Niederschlag zu rechnen. Keine gute Aussichten, um
mit einer Gruppe einen sehr langen Aufstieg in Kauf zu nehmen. Außerdem
sieht man am Gipfel nichts. Da die Kondition nicht das Problem zu sein scheint,
entscheiden wir uns, den Gipfelanstieg gleich am zweiten Tag zu wagen. Jeder
weiß, dass dies anstrengend wird. Das heißt, früh aufstehen,
um auch etwas mehr Zeit auf Tour zu haben.
Bereits
um 6 Uhr stehen wir vor der Hütte und legen die Ausrüstung an. Dazu
gehören Klettergurte zum Anseilen, da wir später auf dem Gletscher
unterwegs sind. D.h. einer der Teilnehmer darf das 4 Kilo schwere Seil
zusätzlich zur Ausrüstung tragen. Von der Hütte ist man erst einmal
eine Stunde fast eben unterwegs, um ans hintere Ende des Talschlusses zu
gelangen. Dann geht es hundert Höhenmeter steil bergauf, um dann die
Gletscherzunge am unteren Ende zu betreten. Moränen und dazwischen
eingelagerte Gletscherseen sind zugeschneit und die Aufstiegsroute wird durch
den Spurenden so angelegt, dass die Spur im Schnee mittels geraden
Wegstücken und Spitzkehren immer etwa die gleiche Steilheit hat, so dass
sich der Körper des Skibergsteigers an einen Aufstieg gleicher Steilheit
und damit an einen ähnlichen Puls beim Aufstieg gewöhnen kann. Denn
diesen Puls muss man lange durchhalten. Zwei Stunden weiter geht es durch einen
Eisbruch hindurch, wobei die Spalten kaum erkennbar verschneit sind. Aber es
ist wieder ordentlich steil hier. Nur diesmal greift der Tiefschnee auf dem
Gletscher gut. Nach gefühlt unendlich langer Gehzeit macht der Gletscher
eine Links-Biegung und man sieht erstmals das Tagesziel – die
Gipfelpyramide der Ruderhofspitze.
Mittlerweile
ist es windig und bereits früher Nachmittag. In einiger Entfernung vor ist
eine Gruppe von Alpinpolizisten zu sehen, die auf der Hütte schon eine
Woche lang ihrer Ausbildung nachgehen und heute am freien Tag dasselbe Ziel wie
wir haben. Sie steigen gerade von der Scharte über den fast einen
Kilometer langen schmalen Felsgrat zum Gipfel hinüber. Der Grat ist
schmal, verschneit und man muss aufpassen, dass man nicht herunterfällt.
Folglich legen wir dann in der Scharte ein Seil an, so dass ein Ausrutscher
hier nicht tödlich enden kann. Die Kletterei am Grat macht uns viel
Spaß. Weit unter uns liegt das Stubaier-Gletscherskigebiet, dass hier vom
Gipfelgrat aus gut zu sehen ist. Aber aufgepasst. Die Augen immer gut auf die
Tritte gerichtet, um hier dem leichten Klettergelände die angemessene
Aufmerksamkeit entgegenzubringen. Stolpern möchte ich hier nicht.
Endlich
– über die letzten Gipfelfelsen kommen wir am Gipfel an und werden
von den Alpinpolizisten begrüßt, die unseren Aufstieg beobachtet haben.
So sind nun alle Bergsteiger gleichzeitig am Gipfel, die an diesem Wochenende
den Gipfel erreichen sollen. Den morgen wird es wegen des Wetters schwierig,
hier herauf zu kommen. Heute ist der Blick grandios und der Nachmittag wirft
schon längere Schatten des Gipfels auf den weit unten liegenden Gletscher.
Wir genießen die Einsamkeit und das erfüllende Gefühl, den
mühsamen Gipfel dann doch erreicht zu haben.
Nun
beginnt aber mit dem vorsichtigen Anstieg über den Felsgrat, der Weg zu
den Freuden des Skibergsteigens. Die Skiabfahrt über den verschneiten
Gletscher kann gleich unterhalb der Scharte starten. Die ersten Meter im
Tiefschnee treiben wie immer den Puls hoch. Es geht etwa 50 Meter steil
hinunter, bevor der Hang zum Gletscher hin flacher wird. Die ersten
Schwünge im Steilhang sollen doch gelingen. Und so ist jeder anfangs sehr
angespannt, um nicht gleich bei den ersten Schwüngen im Tiefschnee durch
einen Fahrfehler im Schnee zu landen. Es gelingt schließlich Allen, die
ersten Meter sturzfrei zu absolvieren, und wir schwingen bald in der
Nachmittagssonne Mutterseelen-Allein in das große Gletscherbecken
hinunter. Unglaublich wie gut das ausschaut, wenn eine Gruppe mit acht
Teilnehmern nebeneinander und hintereinander auf den Skiern den Gletscher hinunterzuschweben
scheint. Hurra – schnell hat man die Mühen des Aufstiegs vergessen
und wünscht, dass der Tiefschnee nicht enden wird.
Text
und Fotos : Klaus Berghold
Die
Skitour wurde im Rahmen des Kursprogramms des Deutschen Alpenvereins/ Sektion Schwaben
im März 2012 durchgeführt. Link: www.alpenverein-schwaben.de